The Gatekeepers

Woher weiss die Presse, was sie weiss?» Die Antwort auf diese Frage dürfte viele Leser überraschen: Im Schnittpunkt bezieht sie ihr Wissen von drei globalen Nachrichtenagenturen. Die nahezu anonym agierenden Nachrichtenagenturen sind der Schlüssel zu den Ereignissen in der Welt – und wie wir sie wahrnehmen. Sie definieren unsere Werte und sie definieren unsere Definitionen. Die Frage ist: Interessiert uns dies überhaupt? Denn wir sind längst süchtig nach Junk-News.


Worum geht es im Journalismus – um Wahrheit oder Umsatz, um Aufklärung oder Klicks, um Information oder Manipulation? Diese wichtige Frage ist in Zeiten bedrohter Geschäftsmodelle und digitaler Disruption so aktuell wie nie zuvor.

Die «vierte Gewalt»

Journalistische Medien werden häufig als die «vierte Gewalt» im Staat bezeichnet. Gemeint ist, dass sie neben den drei klassischen Staatsgewalten, den Gerichten (Judikative), dem Parlament (Legislative) und der ausführenden Gewalt (der Exekutive) eine weitere wichtige Rolle übernehmen. Sie sind dabei im Gegensatz zu den anderen Gewalten nicht Teil des Staates; sie haben den Anspruch, unabhängig über die Politik zu berichten und sie wo nötig, zu kontrollieren und zu kritisieren. Der «vierten Gewalt» fehlt es an demokratischer Legitimation, Journalisten brauchen sich keiner Wahl zu stellen.

Wenn der eigentliche Vorteil der Demokratie gegenüber anderen Regierungsformen die Kontrolle der Regierung durch das Volk ist, dann braucht das Volk auch die notwendigen Informationen, um diese Kontrollfunktion auszuüben. «Wissen ist Macht» – oder zumindest eine unabdingbare Voraussetzung dafür, die Kontrolle zu behalten.

Wachhunde der Demokratie?

Die Krise der Demokratie hat eine neue Stufe erreicht. Sie ist nicht mehr nur eine weit entfernte Randerscheinung, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die ideologische Betriebsblindheit im Journalismus hat uns erst in die Medien- und Demokratiekrise geführt. Die guten alten Zeiten, in denen es im Journalismus um wirklich unabhängige und fundierte Recherche, meinungsbildende, objektive Berichterstattung und die reflektierte Auseinandersetzung mit Brenn-Punkten der Gesellschaft ging, sind längst vorbei.

« Information war einmal der Hauptgang in einem guten fünf Sternenrestaurant. Später war sie nur noch Beilage und heute ist sie lediglich die verblichene Glasur auf kalt servierten Tellern einer heruntergekommenen Imbissbude. Anstatt sachlicher, neutraler und informativer Berichterstattung gibt’s haltungsverschimmelte, gesinnungsversalzene und ethikverbrannte Billigkopien von Informationsfragmenten an Doppelmoralsauce. »

Heute geht es nur noch darum, massenhaft Daten abzugreifen, um die marktrelevante Zielgruppe durch optimierte Platzierung von verlogener Werbung zum Konsum zu dirigieren.

Von Selbstkritik keine Spur

Die Medienkrise ist hausgemacht. Die Medien spielen die vierte Gewalt nur noch dann, wenn es ihnen in den Kram passt. Verlässliche ethische, journalistische und juristische Grundlagen sind bis dato mangelhaft. Der Pressekodex ist eine untaugliche Fehlkonstruktion, der Presserat eine erschütternd bemitleidenswerte Selbsthilfegruppe. Journalismus ist die organisierte Zerstörung der geistigen Empfänglichkeit der dem Journalismus ausgesetzten Bevölkerung. Das bisschen investigative, das bisschen pseudoinformative Schweinereienaufdecken ist angesichts der Niederträchtigkeit, die der Journalismus insgesamt verkörpert, absolut nebensächlich. Da wird die Wahrheit zur Lüge und die Lüge zur Wahrheit erklärt, gehetzt, gespalten, denunziert und diffamiert. Ob Massenmedien oder Massenkrisen, das eine wäre ohne das andere nicht denkbar.

Gatekeeper

Nachrichtenagenturen stehen selten im Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Dennoch sind sie eine der einflussreichsten und gleichzeitig eine der am wenigsten bekannten Mediengattungen. Sie sind Schlüsselinstitutionen mit substanzieller Bedeutung für jedes Mediensystem. Sie sind das unsichtbare Nervenzentrum, das alle Teile dieses Systems verbindet.

« Der grösste Teil der internationalen Nachrichten in all unseren Medien stammt von nur drei globalen Nachrichtenagenturen aus New York, London und Paris. »

Dadurch sind sie auch die Türsteher des Nachrichtensystems. Welche Nachrichten sie auswählen und welche Sichtweise sie auf die Ereignisse haben, bestimmt maßgeblich, wie wir sie erzählt bekommen. Nachrichtenagenturen sind also sogenannte Gatekeeper. Wer diese Gatekeeper besitzt, hat großen Einfluss auf unsere Sicht der Welt und damit auf unsere Entscheidungen.

Associated Press (AP)

Die amerikanische Associated Press (AP) mit weltweit über 4000 Mitarbeitern. Die AP gehört US-Medienunternehmen und hat ihre Hauptredaktion in New York. AP-Nachrichten werden von rund 12 000 Medien genutzt und erreichen dadurch täglich mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Reuters

Die britische Reuters in London, die privat-wirtschaftlich organisiert ist und etwas über 3000 Mitarbeiter beschäftigt. Reuters wurde 2008 vom kanadischen Medienunternehmer Thomson – einer der 25 reichsten Menschen der Welt – gekauft und zu Thomson-Reuters mit Sitz in New York fusioniert.

Agence France-Presse (AFP)

Die quasi-staatliche französische Agence France-Presse (AFP) mit Sitz in Paris und ebenfalls rund 4000 Mitarbeitern. Die AFP versendet pro Tag über 3000 Meldungen und 2500 Fotos an Medien in aller Welt.

3000 Meldungen und 2500 Fotos pro Tag! Wie viele Meldungen werden von allen Presseagenturen zusammen produziert? Und wir bekommen fünf Mainstream Themen serviert. Ist das nicht krass? Sorry – weiter gehts.

Im Endeffekt entsteht durch diese Abhängigkeit von den globalen Agenturen eine frappierende Gleichartigkeit in der internationalen Berichterstattung: Von Wien bis Washington berichten unsere Medien oftmals über dieselben Themen und verwenden dabei sogar vielfach dieselben Formulierungen – ein Phänomen, das man sonst eher mit «gelenkten Medien» in autoritären Staaten in Verbindung bringen würde.

« Regierungen, Militärs und Geheimdienste nutzen die globalen Agenturen als Multiplikator für die weltweite Verbreitung ihrer Botschaften. Selbstständige Recherchen finden in den westlichen Redaktionen kaum noch statt. Wer an den grossen angelsächsischen Medien und Presseagenturen vorbeiberichtet, wird ignoriert oder gar entlassen. »

Agenda-Setting

Die Berichterstattung in den heutigen Massenmedien bildet nicht nur die Geschehnisse der Welt ab, vielmehr konstruiert sie Weltbilder und dies mit großen Auswirkungen auf das internationale Geschehen. In einer Welt, die bis in die kleinsten Winkel hinein durch Fernsehen, Hörfunk, Print- und Onlinemedien erfasst wird, muss die Politik zusehends Rücksicht nehmen auf die öffentliche Meinung.

Die Agenda-Setting-Forschung begann im engeren Sinne 1968 im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Maxwell McCombs und Donald Shaw befragten in ihrer Pionierstudie 100 unentschlossene Wähler, welche Themen sie im Wahlkampf für besonders relevant hielten, und untersuchten gleichzeitig, über welche Themen die Medien im Wahlkampf besonders häufig berichteten. Dabei zeigte sich ein fast perfekter Zusammenhang (McCombs/Shaw 1972). Weitere Studien mit aufwendigeren Forschungsdesigns belegten zudem, dass der Einfluss der Medien- auf die Publikumsagenda deutlich größer ist als der umgekehrte Einfluss der Publikums- auf die Medienagenda.

Investigative Journalisten und internationale Medienverbände informieren zudem strategisch anstatt zeitnah. Informationen werden nicht selten bewusst als Joker zurückgehalten, um sie im entscheidenden Moment öffentlich zu machen. Nicht die Information und Aufklärung ist das Ziel, sondern die soziopolitische Wirkung – damit wird der Wachhund der Demokratie immer öfter zum Anwalt des Teufels.

« Die Leit-Medien sind unsere Augen und Ohren in der grossen weiten Welt – sie entscheiden, was wir von unserer Welt zu sehen und zu hören bekommen und sie entscheiden, wer gesehen und wer gehört wird. Sie entscheiden, wer geliebt und wer gehasst wird. Sie definieren unsere Werte und sie definieren unsere Definitionen. Damit vergreifen sie sich an den Bausteinen unseres Bewusstseins, – an der DNS unseres Daseins. Macht ohne Verantwortung.

Die Medien sind die Geisterbeschwörer unserer Zeit. Ihr Zauberstab ist der Fokus und ihre Worte die Zaubersprüche. Die Medien scheinen sich die uralten Worte der aramäische Zauberformel Abrakadabra – ‫כדברא‬ ‫אברא‬ – avrah k’davra – auf den Leib geschrieben zu haben. Sie bedeutet: „Ich werde erschaffen, während ich spreche“.

Zum 20-jährigen Bestehen von Wikipedia hat die Arbeitsstelle Wiki-Watch der Europa-Universität Viadrina eine kritische Bilanz gezogen. Die Internet-Plattform sei undurchsichtig und fehleranfällig und müsse reformiert werden. Wiki-Watch verwies bei seiner Kritik auf eine mangelnde Zuverlässigkeit der auf der Plattform verbreiteten Informationen, die Intransparenz der Finanzierung und eine Struktur, die die juristische Verfolgung von strafbaren und falschen Inhalten verhindere. Zudem erwirtschafte die amerikanische Wikimedia-Stiftung viel Geld, dessen Einsatz unklar sei.

Digitale Allianz

Überall auf der Welt führen Medienunternehmen eine gemeinsame Anmeldepflicht für ihre Nachrichtenplattformen ein. Unsere Daten gegen ihre ideologiegetränkte Sülze. Ein bisschen Information gegen viel Werbung – und dabei den Kapitalismus verteufeln.

Weil niemand mehr ihr Futter fressen will, sind die Umsätze eingebrochen. So wurde die kritische Presse zu einem regierungstreuen Sprachrohr und Mundschenk. Statt Asche auf ihr Haupt zu streuen, jammern sie im Chor und ziehen die Getäuschten weiterhin über den Tisch.

Was können wir tun? Hört auf, den Dreck zu lesen, hört auf, ihn zu verbreiten, hört auf, ihn zu kommentieren, hört auf, auf ihn zu reagieren. Der Hund, den wir füttern, gewinnt immer und warum sollten wir eine tollwütige Bestie noch länger am Leben erhalten?

Jack Kabey

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