»Vertraue der Wissenschaft!« – ein unaufhörlicher Refrain, der durch die Medien erschallt, wie die Gebete der Mönche, die ihre Mantras in den Tempelhallen rezitieren. Doch das Vertrauen in die Wissenschaft schwindet dahin wie der Dunst des Morgens, der von der Wärme der aufgehenden Sonne verzehrt wird.
In einer Welt, in der die Macht in immer weniger Händen liegt, wirken politische Entscheidungsträger, Medien und Wissenschaftler in ihren mit Narzissmus vergoldeten Elfenbeintürmen unantastbar. Sie wähnen sich sicher auf ihrem Thron der moralischen Ideologie und unterdrücken die Wahrheit ganz wie es ihnen gefällt. Sie verbreiten Lügen, um ihre Agenda durchzusetzen und ihre Macht zu erhalten. Aber die Wahrheit ist unbesiegbar und wird schließlich ans Licht kommen, die Türme werden fallen und die Macht wird in die Hände des Volkes zurückkehren.
Die politischen Entscheidungsträger, die Medien und die Wissenschaft selbst werden immer häufiger dabei ertappt, Fakten zu unterschlagen und offensichtliche Lügen zu verbreiten. Die Pandemie hat die Schwachstellen der demokratischen Institutionen aufgedeckt und das Vertrauen der Bevölkerung bis ins Mark erschüttert.
Doch es gibt noch einen weiteren, tiefer liegenden Grund für das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft: die Tatsache, dass viele veröffentlichte Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse später als falsch oder übertrieben entlarvt werden. Dies wurde von renommierten Wissenschaftlern wie John Ioannidis und Richard Horton vorgebracht und durch zahlreiche Studien unterstützt. Es ist ein Problem, das das Vertrauen in die Wissenschaft untergräbt und es schwierig macht, die wahre und valide Wissenschaft von der schlechten zu unterscheiden.
Diese Probleme, in Verbindung mit Interessenkonflikten, Publikations- verzerrungen und fehlenden Replikationen, haben das Vertrauen in die Wissenschaft untergraben und es erfordert die Anstrengungen von Wissenschaftlern, Politikern und Medien, es wiederherzustellen. Es ist eine Herausforderung, die so groß ist wie die Wissenschaft selbst, aber die Bemühungen müssen unternommen werden, um die Wissenschaft als vertrauenswürdige Quelle für die Wahrheitssuche wiederherzustellen.
Politiker und Regierungen unterdrücken die Wissenschaft
»Politiker und Regierungen unterdrücken die Wissenschaft. Sie tun dies im öffentlichen Interesse, sagen sie, um die Verfügbarkeit von diagnostischen Behandlungen zu beschleunigen. Sie tun dies, um Innovationen zu fördern und Produkte in noch nie dagewesener Geschwindigkeit auf den Markt zu bringen. Beide Gründe sind zum Teil plausibel; die größten Täuschungen haben ein Körnchen Wahrheit in sich. Aber das zugrunde liegende Verhalten ist beunruhigend. Die Wissenschaft wird aus politischen und finanziellen Gründen unterdrückt. Covid-19 hat staatliche Korruption im großen Stil entfesselt, und das ist schädlich für die öffentliche Gesundheit« – Kamran Abbasi, leitender Redakteur des BMJ
Politiker und Regierungen unterdrücken die Wissenschaft im Namen einer schnelleren Verfügbarkeit von Diagnosen und Behandlungen und der Förderung von Innovationen. Diese Unterdrückung ist jedoch schädlich für die öffentliche Gesundheit und wird von politischen und finanziellen Interessen geleitet. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie der medizinisch- politische Komplex in Notfällen manipuliert werden kann, und die Pandemiebekämpfung im Vereinigten Königreich hat mehrere Beispiele für die Unterdrückung von Wissenschaft und Wissenschaftlern geliefert. Es ist wichtig, dass sich Politiker bei ihren politischen Entscheidungen von der Wissenschaft leiten lassen, aber nur, wenn die Wissenschaft frei von politischer Einmischung überprüft werden kann und das System transparent ist und nicht durch Interessenkonflikte beeinträchtigt wird.
Intransparenz
Die meisten Studien sind nicht öffentlich einsehbar. Erstens, weil sie von wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht werden, die eine Bezahlschranke haben. Dadurch sind die Studien nur für Menschen zugänglich, die ein Abonnement oder eine Einzelzugriffslizenz besitzen. Zweitens, weil die Studien oft von Unternehmen oder Organisationen finanziert werden, die die Ergebnisse nicht öffentlich machen möchten.
Für die Geheimhaltung gibt es verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass die Ergebnisse gewerbliche oder finanzielle Interessen beeinträchtigen könnten. Zum Beispiel, weil negative Ergebnisse ein Produkt schädigen oder den Wettbewerb beeinträchtigen. Ein weiterer Grund ist, dass die Ergebnisse noch nicht patentiert oder anderweitig geschützt sind und man verhindern möchte, dass andere Unternehmen oder Organisationen diese Ergebnisse vorab nutzen.
Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele Studien tatsächlich an die Öffentlichkeit gelangen. Es hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. dem Thema der Studie, den Finanzierungsquellen und dem jeweiligen Land und Institution. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass nur ein Bruchteil aller durchgeführten Studien tatsächlich veröffentlicht werden, andere Schätzungen berichten von einer höheren Veröffentlichungsquote. Eine Studie aus dem Jahr 2016 hat gezeigt, dass nur etwa 36% der klinischen Studien die Ergebnisse öffentlich zugänglich machen, und dass diese Quote bei Studien, die von der Industrie finanziert werden, deutlich niedriger ist als bei Studien, die von der Regierung oder von gemeinnützigen Organisationen finanziert werden.
Eine BMJ-Studie untersuchte 4347 klinische Studien, die an 51 akademischen medizinischen Zentren in den Vereinigten Staaten durchgeführt wurden. Die Publikationsrate innerhalb von zwei Jahren nach Abschluss der Studie lag in jeder Einrichtung zwischen 10,8 % und 40,3 %. Die Berichterstattung über die Ergebnisse auf ClinicalTrials.gov variierte sogar noch stärker und reichte von 1,6 % bis 40,7 %. Insgesamt wurden die Ergebnisse von 66 % der klinischen Studien schließlich verbreitet, allerdings nur 35,9 % innerhalb von zwei Jahren nach Abschluss.
Wenn es um die Weitergabe der Ergebnisse klinischer Studien geht, sind akademische medizinische Zentren offenbar nicht großzügiger als Pharmaunternehmen. »Trotz des ethischen Mandats und der zum Ausdruck gebrachten Werte und Aufgaben akademischer Einrichtungen sind die Ergebnisse klinischer Studien in den führenden akademischen medizinischen Zentren nur unzureichend und in sehr unterschiedlichem Maße verbreitet«, so das Fazit der Autoren.
Für Ben Goldacre, PhD – ein Akademiker und Wissenschaftsjournalist – der die AllTrials-Kampagne mitbegründet hat, die die Registrierung und Veröffentlichung aller klinischen Studien fordert, ist dies keine Überraschung. Goldacre bezeichnet das Zurückhalten von Ergebnissen klinischer Studien als Fehlverhalten in der Forschung. Und er sagt, es sei allgemein bekannt, dass viele Forscher sowohl im akademischen Bereich als auch in der Industrie die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht veröffentlichen.
Milliarden werden in der Gesundheitsforschung verschwendet
Man schätzt, dass 85 % der gesamten Gesundheitsforschung verschwendet werden. Dies ist ein erhebliches Problem, denn es bedeutet, dass jedes Jahr weltweit 170 Milliarden Dollar verschwendet werden. Die Verschwendung lässt sich in drei Hauptkategorien unterteilen: Nichtveröffentlichung abgeschlossener Forschungsarbeiten, Veröffentlichung von schlecht berichteten Forschungsarbeiten und unzureichende Berücksichtigung früherer Forschungsarbeiten bei der Konzeption neuer Studien. Diese Probleme sind vermeidbar und bedürfen ernsthafter Aufmerksamkeit und Analyse.
Ob Sie es glauben oder nicht: Die meisten veröffentlichten Forschungs- ergebnisse sind wahrscheinlich falsch
Die Behauptung, dass die meisten veröffentlichten Forschungsergebnisse wahrscheinlich falsch sind, wird durch ein Papier von John Ioannidis, einem Epidemiologen aus Stanford, gestützt, das zum meistzitierten Artikel avancierte, der jemals in der Zeitschrift »PLoS Medicine« veröffentlicht wurde. Darin wird argumentiert, dass Probleme, die derzeit im wissenschaftlichen Prozess verankert sind, wie z. B. kleine Stichproben- größen, winzige Effekte, ungültige explorative Analysen, Interessenkonflikte, die Besessenheit, modische Trends zu verfolgen, Publikationsverzerrungen, fehlende Replikation und falsche statistische Signifikanz, in Kombination mit der Art und Weise, wie wir derzeit statistische Signifikanz interpretieren, zu dem Schluss führen, dass die meisten veröffentlichten Ergebnisse wahrscheinlich falsch sind.
Diese Aussage wird auch vom Herausgeber von The Lancet, Richard Horton, unterstützt, der feststellt, dass »ein Großteil der wissenschaftlichen Literatur, vielleicht die Hälfte, einfach unwahr sein könnte«. Auch andere Studien, wie die des UCL-Pharmakologen David Colquhoun, stützen diesen Gedanken: »Wenn man p=0,05 verwendet, um zu behaupten, dass man eine Entdeckung gemacht hat, liegt man in mindestens 30 Prozent der Fälle falsch«. Beispiele von Unternehmen wie Amgen und Bayer, die versucht haben, »bahnbrechende Veröffentlichungen« auf ihrem Gebiet zu wieder- holen, und denen dies nicht gelungen ist, stützen dieses Argument ebenfalls.
Wenig Transparenz in der akademischen medizinischen Forschung
In einer weiteren Studie wurden der Zeitpunkt und die Vollständigkeit der Ergebnisse von Arzneimittelstudien, die auf ClinicalTrials.gov veröffentlicht wurden, mit den in Fachzeitschriften veröffentlichten Ergebnissen verglichen. Die Studie ergab, dass zwischen dem primären Abschlussdatum und der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse im Internet im Durchschnitt 19 Monate und zwischen dem primären Abschlussdatum und der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift im Durchschnitt 21 Monate lagen. Die Berichterstattung auf ClinicalTrials.gov war in Bezug auf die Teilnehmerzahlen, Wirksamkeitsergebnisse, unerwünschte Ereignisse und schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wesentlich vollständiger als in den veröffentlichten Artikeln. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Studienergebnisse, insbesondere schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, auf ClinicalTrials.gov vollständiger berichtet werden als im veröffentlichten Artikel.
Eine frühere Studie wurde von einem Forscherteam unter der Leitung von Benjamin Speich durchgeführt. Ziel der Studie war es, die Abschluss- und Veröffentlichungsraten von randomisierten klinischen Studien (RCTs) 10 Jahre nach einer früheren Studie zu bewerten, die ergab, dass 25 % vorzeitig abgebrochen wurden und 44 % unveröffentlicht blieben. Die Studie umfasste 326 RCT-Protokolle, die 2012 von Forschungsethikkommissionen in mehreren Ländern genehmigt worden waren, und verwendete eine Vielzahl von Methoden zur Bewertung der Registrierung, des Abbruchs und der Veröffentlichung von Studien. Die Studie ergab, dass 6 % der Studien nicht registriert waren, 30 % vorzeitig abgebrochen wurden und 21 % auch nach 10 Jahren noch nicht veröffentlicht waren. Die Studie ergab auch, dass eine geringere Berichtsqualität der Studienprotokolle mit der Nicht- veröffentlichung verbunden war. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich die Rate der vorzeitigen Studienabbrüche nicht verändert hat und die Nichtveröffentlichung von RCTs nach wie vor ein Problem darstellt, sodass weitere Anstrengungen zur Verbesserung der Effizienz und Transparenz der klinischen Forschung erforderlich sind.
Schaffung von Integrität und Transparenz
Integrität und Transparenz sind in der Wissenschaft unerlässlich, um die Qualität und Glaubwürdigkeit der Forschung zu gewährleisten. Es gibt mehrere Initiativen und Organisationen, die sich für die Förderung dieser Werte in der wissenschaftlichen Forschung einsetzen. Die AllTrials- Kampagne ist eine internationale Initiative, die sich für die Veröffentlichung aller Ergebnisse klinischer Studien einsetzt, unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ sind. Sie setzt sich dafür ein, dass alle Protokolle und Ergebnisse klinischer Studien auf öffentlich zugänglichen Registrierungsplattformen veröffentlicht werden. Das International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) ist eine Gruppe von Medizinjournalisten, die sich für höhere Standards bei der Veröffentlichung von klinischen Studien einsetzt. Sie haben Richtlinien für die Veröffentlichung von klinischen Studien erstellt, die von vielen angesehenen medizinischen Fachzeitschriften befolgt werden. Das Center for Open Science (COS) ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Integrität und Transparenz der Wissenschaft einsetzt. Sie betreibt eine Plattform, die es Wissenschaftlern ermöglicht, ihre Daten und Methoden zu teilen, um die Reproduzierbarkeit ihrer Forschung zu verbessern.
Vertrauen will verdient sein. Kommen Sie ins Handeln.
Punkt 1: Förderung von Transparenz und Integrität
Eine der wichtigsten Lösungen, um das Vertrauen in die Wissenschaft wiederherzustellen, ist die Förderung von Transparenz und Integrität durch Wissenschaftler. Dies kann erreicht werden, indem Wissenschaftler ihre Methoden, Daten und Ergebnisse vollständig offenlegen. Dies ermöglicht es anderen Wissenschaftlern, ihre Arbeit nachzuvollziehen und zu überprüfen, was dazu beiträgt, die Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Ergebnisse zu bestätigen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Replikation von Studien, um sicherzustellen, dass Ergebnisse nicht nur einmalig sind.
Zusätzlich sollten Wissenschaftler und Institutionen ihre Finanzierungs- quellen offenlegen und Maßnahmen ergreifen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Dies hilft dabei, die Unabhängigkeit und Integrität der Wissenschaft zu gewährleisten und das Vertrauen in die Wissenschaft wiederherzustellen.
Punkt 2: Medienaufklärung und Bildung
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Wiederherstellung des Vertrauens in die Wissenschaft ist die Aufklärung durch Medien. Medien sollten sorgfältig recherchieren und die Wahrheit über wissenschaftliche Erkenntnisse berichten anstatt Falschmeldungen, Ideologie und Sensationsberichte zu verbreiten. Dies hilft dabei, die Öffentlichkeit besser über wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungen zu informieren und das Vertrauen in die Wissenschaft und in die ebenfalls angezählten Medien wiederherzustellen. Ebenfalls wichtig ist die Bildung von Wissenschaftlern, Politikern und Medien. Diese sollten sich regelmäßig weiterbilden und sich über die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse in ihren Bereichen informieren, um ihre Entscheidungen und Handlungen auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zu basieren. Dies hilft dabei, das Verständnis für die Wissenschaft zu fördern und das Vertrauen in die Wissenschaft wiederherzustellen.
Punkt 3: Förderung der wissenschaftlichen Kritik
Regierungen und Medien haben eine wichtige Rolle bei der Unterstützung und Förderung der Wissenschaft, um sicherzustellen, dass die Wissenschaft unbeeinflusst und unabhängig ist. Sie können dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Wissenschaft informiert wird, damit diese besser verstehen kann, was die Wissenschaft leistet und welche Auswirkungen sie hat.
Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Förderung von wissenschaftlicher Kritik. Es muss eine Kultur gefördert, werden, in der wissenschaftliche Arbeiten kritisch betrachtet und diskutiert werden, um die Qualität und Integrität der Wissenschaft zu verbessern. Dies ermöglicht es anderen Wissenschaftlern, die Arbeiten zu replizieren und zu überprüfen, um die Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Ergebnisse zu bestätigen und das Vertrauen in die Wissenschaft wiederherzustellen.