Hypermoralismus – Die Inquisition der Moral

Jack Kabey - The Speech
Jack Kabey – The Speech
Hypermoralismus – Die Inquisition der Moral
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Moral – das Thema ist eines der Wichtigsten unserer Zeit, den sie wird zunehmend zu einem gesellschaftlichen Konzept zur Verbrechensvorbeugung, zu einem Pre-Crime-Programm und einem soziokulturellen Sicherheitskonzept. Aktuell werfen wir mit einer ganzen Menge Dreck um uns. Wir alle meinen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Aber genau diese Geschichte erzählt uns genügend Beispiele, um zu wissen, wohin uns diese Art miteinander umzugehen führen wird.


Habt ihr euch gut eingerichtet? Sitzt ihr bequem? Schön, man liest, wie man sich bettet. Die richtige Musik in den Ohren? Ja, der Soundtrack ist nicht unwichtig.

Moral – das Thema ist eines der Wichtigsten unserer Zeit. Betrachtet die Begrüssung und Einleitung hiermit auch schon als abgeschlossen, wir legen gleich los. Das wird ein Senkrechtstart. Also gut festhalten und volle Konzentration.

Das Kosten der Frucht vom Baum der Moral hat zum Rausschmiss aus dem Paradies geführt. Ihr erinnert euch? Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse im Garten Eden. Seine Früchte sind hochgiftig, ihre Wirkung bewusstseinsverändernd. Die Vergifteten nehmen die Welt nicht nur gänzlich verändert wahr, sie stören sich auch an ihr. Stellt euch die Droge vor, die aus Hippies klein karierte Streber macht, – wer pflanzt so was mitten im Paradies? Moral wird als ein System von verbindlichen sittlichen Normen und Grundsätzen, die das zwischenmenschliche Verhalten regulieren, definiert. Moral ist also so etwas wie die Strassenlaternen zur Beleuchtung der Strasse des Benehmens.

Seit dem Neolithikum, der Sesshaftwerdung der Menschheit, beisst jede Generation immer wieder genüsslich in das bittersüss-saftige Fruchtfleisch der überheblichen Selbstgerechtigkeit. Heute sind es hauptsächlich die Medien, welche die Welt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiss, in Nullen und Einsen, in richtig und falsch aufteilen. Sie breiten die Landkarte des Denkens, Fühlens und Handelns vor uns aus und zeichnen mit dem Lineal der hochmütigen Selbstgefälligkeit ihre Grundsätze des von ihnen gewünschten zwischenmenschlichen Verhaltens als soziologische Koordinaten auf, erklären sie in gottgleicher Souveränität zur Norm und zwingen der halben Menschheit ihre Weltsicht auf. Was nicht passt, wird passend gemacht oder unter den Tisch fallen gelassen und unter den Teppich gekickt. Der kritische, vernunftbegabte Geist wird zur Hexe erklärt, an den Pranger gestellt, auf der Streckbank zerrissen und wenn das alles nichts hilft, unter Hetze und Spott medial verbrannt. Dass die Koordinaten äusserst individuell definiert und ausgelegt werden, fällt nicht mal mehr auf.

Definition

Moral ist ein System verbindlicher moralischer Normen und Grundsätze, die das zwischenmenschliche Verhalten regeln sollen. Doch die Moral wird zunehmend zu einem gesellschaftlichen Konzept zur Verbrechensvorbeugung, zu einem Pre-Crime-Programm, einem sozio-kulturellen Sicherheitskonzept und erhebt immer lauter Anspruch auf den Richterstuhl. Das selbst ernannte Tribunal fällt seine Urteile in öffentlich-medialen Schauprozessen. Sein Gesetzbuch ist ein willkürlicher Moralkodex, seine Paragrafen aus kognitiven Verzerrungen zusammen-geschustert. Beweise werden unterdrückt, Zeugen eingeschüchtert und die Angeklagten werden gar nicht erst auf die Anklagebank gesetzt, sondern gleich auf dem medialen Scheiterhaufen verbrannt. Dabei wird systematisch mit vier Methoden gearbeitet:

  1. Mit kognitiven Verzerrungen,
  2. logischen Fehlschlüssen,
  3. Definitionsverzerrungen
  4. Stigmatisierung, moralische Erpressung und Nötigung

1. Kognitive Verzerrungen – die 11 häufigsten Denkfehler

Willkürliche Schlussfolgerungen: Bei dieser Art von Denkfehlern werden
voreilige Schlüsse ohne ausreichende Beweise gezogen.

Übergeneralisierung: Wie bei der willkürlichen Schlussfolgerung wird auch
hier auf der Grundlage eines einzigen Ereignisses eine allumfassende Schlussfolgerung gezogen. Es wird also fälschlicherweise von einer einzelnen, eingegrenzten Situation auf die größere Gesamtheit verallgemeinert.

Schwarz-Weiß-Denken: Klassisches Denken, bei dem es nur zwei Extreme gibt und keine Zwischenschritte. Beispiel: “Entweder wird mein Auftritt ein voller Erfolg oder ich habe total versagt”. Meistens ist die Realität viel differenzierter, als dieser Denkfehler vermuten lässt.

Gedankenlesen: Natürlich ist es möglich, eine Vorstellung davon zu haben, was andere Menschen denken, trotzdem werden immer häufiger auf Grundlage von hypothetischen Fragmenten, Ferndiagnosen und Persönlichkeitsprofile erstellt und zukünftige Verhaltensweisen prognostiziert.

Wahrsagerei, Kaffeesatz lesen: Genau wie beim Gedankenlesen tendiert der Denkfehler der Wahrsagerei zu vorschnellen Schlussfolgerungen und trifft Vorhersagen – jedoch ohne Beweise und auf fragwürdiger Grundlage.

Hochgradig segmentierte Wahrnehmung (Tunnelblick): Es wird nur eine Sichtweise auf eine Situation zugelassen, gesehen und überbetont, während gegenteilige Informationen unterdrückt oder verzerrt werden.

Übermäßige Verantwortlichkeit: Dieser Denkfehler charakterisiert die Neigung, sich selbst eine überwältigende Verantwortung für negative Ergebnisse zuzuschreiben, auch für Dinge, die sich der eigenen Kontrolle entziehen.

Personalisierung: Bei diesem Denkfehler werden Ereignisse voreilig auf die eigene Person bezogen, während äußere Umstände sowie andere Menschen ignoriert werden. “Wenn ich nicht selbst die ganze Arbeit mache, geht der ganze Laden unter.”

Katastrophisieren: Bei diesem Denkfehler werden künftige Katastrophen-szenarien ohne jede Evidenzbasis imaginiert, es wird ungerechtfertigterweise das Worst-Case-Szenario angenommen.

Emotionales Denken: Dieses Denkproblem besteht in der irrtümlichen Ableitung von einer inneren Befindlichkeit auf äußere Faktoren. Bei Angst werden von somatischen oder psychischen Ereignissen Rückschlüsse auf eine reale äußere Gefahr gezogen, nach dem Motto: “Wenn ich mich davor fürchte, dann muss ich auch gefährlich sein.“

Der Matthäus-Effekt: “Denn wer hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird genommen“. Mt 25,29. Menschen vertrauen bereits bekannten Personen mehr als unbekannten. Erfolgreiche Nachwuchskräfte kommen auch eher aus anerkannten Kreisen (z. B. Nobelpreisträger, Präsidenten, Professoren, Experten). Diejenigen, die schon einmal einen Preis gewonnen haben, die bereits Projekte durchgeführt haben, haben auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, weitere Aufträge zu bekommen. Viel zitierte Forscher werden häufiger zitiert als weniger bekannte. Der Matthäus-Effekt zeigt, wie verbreitet logische Fehlschlüsse sind. Herr X stammt aus einer Familie mit guten Ärzten. Herr X ist ebenfalls Arzt. Herr X ist demnach auch ein guter Arzt und all seine Aussagen sind unwiderlegbar richtig. Was ein guter Arzt ist, definiert jeder von verschieden und die Schlussfolgerung ist eben falsch.

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2. Logische Fehlschlüsse

Jeder Mensch ist sterblich. Sie sind ein menschliches Wesen. Sie sind sterblich. Dieses Beispiel dient als lineares Argument, um zu zeigen, wie ein Argument aufgebaut ist. Die ersten beiden Sätze sind Prämissen, also Annahmen, die durch eine logische Weiterführung zu einer Schlussfolgerung führen: Wenn Sie und ich menschlich sind und alle Menschen sterblich sind, dann werden Sie und ich eines Tages sterben. Dies ist eine logische Schlussfolgerung. Aber warum? Wann sind Argumentationen logisch und wann nicht?

Schlussfolgerungen sind Ableitungen der abstrakten Formel “Wenn A und B so sind, können wir C daraus ableiten“. Fehlschlüsse sind Weiterführungen von Annahmen, die unlogisch oder falsch sind. Bei informellen Fehlschlüssen stimmen ihre Prämissen, ihre Annahmen nicht. Die Schlussfolgerung selbst kann formal korrekt sein, aber wenn eine der Prämissen sachlich falsch ist, stimmt auch das Argument nicht. Beispiel:

Alle Menschen finden schnelle Autos cool. X ist ein Mensch.
Deshalb findet X schnelle Autos cool.

Technisch gesehen gibt es an dem Argument nichts auszusetzen. Der Fehler liegt in der ersten Prämisse, die faktisch falsch ist. Daher ist das gesamte Argument ungültig. Selbst wenn eine Annahme faktisch richtig ist, kann die Schlussfolgerung dennoch falsch sein, weil sie mit einer Annahme arbeitet, die in der Formel nicht vorkommt. Das ist wie Rechnen mit Zahlen, die in der Rechnung nicht vorkommen.

Alle Präsidenten sind Menschen. X ist ein Mensch und damit ein Präsident.

Hier ist materiell alles richtig. Logisch ist das Argument jedoch nicht. Die Schlussfolgerung folgt nicht aus der Prämisse: X ist kein Präsident, weil er ein Mensch ist.

3. Definitionsverzerrungen

Ob Demokratie, Grundgesetz, Gerechtigkeit oder Wahrheit – Konzepte und Definitionen sind inzwischen nur noch Einmachgläser in den Händen der politischen Parteien und Medien. Die Etikette bleibt gleich, der Inhalt wird jedoch nach Belieben ausgetauscht. Die Medien und Politik sind die plastischen Chirurgen der Gesellschaft und spezialisiert in Ideologie-anpassenden Operationen. Schein statt Sein.

4. Stigmatisierung, moralische Erpressung und Nötigung

Wer nun die kognitiven Verzerrungen, die logischen Fehlschlüsse und Definitions-Verzerrungen kritisiert, wird nach demselben Rezept stigmatisiert und zum moralischen Aussätzigen erklärt. Auf den sozialen Medien ist Hassrede indessen nicht mehr Hassrede, solange sie sich gegen Putin und die Russen richtet. Die Etikette bleibt gleich, der Inhalt wurde ausgetauscht.

Von rechts bis links – wir springen immer wieder auf diesen Zug auf und heulen aus tiefster Seele mit dem Rudel den Mond an, oder was auch immer wir gerade für den Mond halten! Von den Juden über die Christen, die Hexen, die Indianer, die Neger, die Bambusratten, die Zigeuner, die Schwulen, die Grünen, die Linken, die Rechten, die Amis, die Querdenker bis zu den Putin-Verstehern, wir drücken jedes Mal bereitwillig das glühende Brandeisen ins Fleisch der zum Feind Erklärten und markieren sie, wie die Bienen einen vermeintlichen Angreifer mit Alarmpheromonen markieren und fallen im Schwarm über sie her. Warum ist das so? Weil Moral eine hochgiftige Substanz ist. Die Dosis machts aus.

Die allermeisten von uns machen es nämlich wie der Mond, den wir im Rudel an heulen: Sie leuchten nicht aus sich heraus, sie reflektieren bloss das Licht der Sonne. Wir sind keine Jäger und Sammler mehr, – wir sind Konsumenten. Die Drecksarbeit überlassen wir anderen. Wir reden gerne über Verantwortung, solange es nicht unsere Eigene ist. Warum? Weil wir gesehen werden wollen, weil wir dazu gehören wollen – aber möglichst ohne grossen Aufwand am liebsten vom Sofa aus.

Sehr oft ist unsere Meinung aber nicht unsere Meinung – sie ist geleast, wie alles andere in unserem Leben. Unsere Meinung ist die Membercard für unsere soziale Zugehörigkeit. Wir wissen mehr über das Leben im Ozean (das sind etwa 2 %) als über den unbewussten Bedingungskatalog, den wir täglich erfüllen, um nicht in Missgunst zu geraten. Wir vollführen hochakrobatische psychologische Verrenkungen und tun alles, um nicht aus dem Rudel verstossen und unserer Bubble geworfen zu werden – und genau dies hält uns davon ab, über uns selbst nachzudenken und unser Handeln infrage zu stellen.

Aktuell werfen wir mit einer ganzen Menge Dreck um uns. Wir alle meinen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Aber genau diese Geschichte erzählt uns genügend Beispiele, um zu wissen, wohin uns diese Art miteinander umzugehen führen wird. Feuer im Herzen gibt Rauch im Kopf. Zu viel unreflektierte Hingabe vernebelt unsere Wahrnehmung und unseren Verstand.

In diesem Sinne lass dir nicht von jeder Schlange irgendwelche Früchte andrehen, achte auf, was du anbeißt, prüfe die Annahmen und Schlussfolgerungen genau, spring nicht auf jeden Zug auf und heul nicht mit jedem Rudel. Mach einfach dein eigenes Licht und Ding.

Jack Kabey

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